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„Die Anwendung digitaler Medien ist zeitgemäß“
Auszubildende, Ausbilder und Lehrer (w/m/d) im Interview

Wie geht es den zahntechnischen Betrieben in diesen merkwürdigen Corona-Zeiten, wie gestalten sich Arbeits-, Lebens- und Lernprozesse unter nie dagewesenen Bedingungen?

Bereits im April hatten wir bei den Unternehmen nachgehakt, um die Lage in den Laboren vor betriebswirtschaftlichem Hintergrund zu hinterfragen. Die entsprechenden Umfrageergebnisse und Interviews haben wir in der vergangenen Ausgabe des "der artikulator" veröffentlicht.

Obwohl inzwischen scheinbar wieder eine Art Normalität eingetreten ist, soll nun im heutigen Mitgliedermagazin vor ähnlichem Kontext das Ausbildungsgeschehen betrachtet werden.

Wie haben Ausbilder und Azubis das Ausbilden und Lernen unter erschwerten, um nicht zu sagen extremen Bedingungen empfunden, welche Probleme, aber auch Chancen und Möglichkeiten boten das digitale Lernen, wie wird sich die mit den alltäglichen Einschränkungen und Auflagen einhergehende Verunsicherung auf das Ausbildungsgeschehen auswirken?

Diesmal lassen wir Ausbilder, Lehrlinge und Berufsschullehrer zu Wort kommen, um auf die Fragen unserer Redaktion hin ihre Sicht auf die vergangenen Wochen darzulegen.

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Für ein Interview…
… aus der Perspektive der Auszubildenden…

…zur Verfügung gestellt haben sich Ahmad, Merve, Joanna und Alexandra aus dem ZTL Linnich & Mahn sowie Alexander Giercke (LBS Neumünster), Auszubildende der BS Magdeburg, Michelle Girndt und Emelie Zabel (OSZ Berlin) sowie Auszubildende des OSZ Potsdam.

der artikulator: Beschreiben Sie kurz ganz allgemein, wie sich Ihre Ausbildungssituation in den Wochen seit Beginn des Lockdowns gestaltet bzw. gegenüber der Zeit davor verändert hat.

Azubis der BS Magdeburg: Ich arbeite weniger, da ich Überstunden abbauen muss. Allgemein ist die Arbeitssituation eher stressiger, da auch die Techniker verkürzt arbeiten und somit relativ viel Arbeit in kurzer Zeit geschafft werden muss. Es bleibt daher wenig Raum zum Üben.

Azubis des OSZ Potsdam: Bei uns gestaltete sich das ähnlich; eigentlich hat sich nicht viel geändert, jedoch hat der Druck deutlich zugenommen. Einige von uns konnten an praktischen Arbeiten üben und ihre Fertigkeiten durch das höhere Arbeitsaufkommen verbessern. Damit einher geht, dass wir Auszubildenden mehr Verantwortung in unserem Arbeitsbereich bekommen haben.

Nicht alle Azubis erhielten Zeit zum Bearbeiten der Schulaufgaben; ein Nachteil des Lockdowns ist, dass wir unseren schulischen Stoff leider nicht erfüllen können.

Michelle Girndt: Seit dem Lockdown hatten wir bis auf ein paar wenige Male keinen Schulunterricht mehr. Die gesamte Woche habe ich im Labor verbracht; wir hatten weder Kurzarbeit noch Beschäftigungsverbot, also war mein Laboraltag eigentlich ganz normal. Da viele Zahnarztpraxen geschlossen oder auch die Patienten den Besuch zum Zahnarzt vermieden hatten, erhielten wir logischerweise weniger Aufträge als vorher. Aber auch das reguliert sich seit einiger Zeit wieder.

Alexander Giercke: Durch die Einteilung in Früh- und Spätschicht blieb uns Azubis insgesamt weniger Zeit im Betrieb.

der artikulator: Bitte stellen Sie uns einige Aspekte der schulischen Ausbildung vor:Wie wurde Ihnen der theoretische Lehrstoff vermittelt?

Azubis der BS Magdeburg: Damit hatten wir keine Probleme. Wir haben sehr gut machbare Aufgaben bekommen; z.B. mussten wir einen Hefter selbst gestalten oder haben Arbeitsblätter bekommen, die wir selbstständig bearbeitet haben. Es war auch nicht zu viel. In die Corona-Zeit fiel die theoretische Zwischenprüfung; dafür wurde uns genügend Zeit zum Lernen überlassen.

Emelie Zabel: Unsere Aufgaben haben wir über den „Lernraum Berlin“ erhalten. Das ist eine Webseite, auf der Lehrer einen Bereich einrichten und Aufgaben sowie Lernmaterialien etc. einstellen. Die Schüler melden sich dort an, um auf das Material zugreifen zu können. Wir hatten im 2. Lehrjahr schon einmal mit dieser Webseite gearbeitet, deswegen waren wir damit bereits vertraut.

Michelle Girndt: Neben der Kommunikation über die Lernplattform hatten wir regelmäßigen E-Mail-Kontakt mit unserer Klassenlehrerin und wir Schüler natürlich untereinander auch. Kontrolliert wurden die zu erledigenden Arbeitsaufträge dann auch über diese Plattform.

Azubis des OSZ Potsdam: Es wurden Aufgaben auf OpenOLAT ? online gestellt, die wir dann bearbeitet haben. Leider passierte in den ersten Wochen nicht wirklich viel. Danach bekamen wir sporadisch Aufgaben über das Internetportal zugeteilt. Durch das viele praktische Arbeiten sind wir den Erfordernissen im theoretischen Teil nicht gerecht geworden.

Azubis des ZTL Linnich & Mahn:Uns wurde der theoretische Lehrstoff über verschiedene Online-Medien wie z.B. eine externe Cloud, Videokonferenzen oder E-Mails vermittelt; im gegebenen Fall auch durch den normalen Präsenzunterricht.

Alexander Giercke: Zum Großteil hatten wir Arbeitsblätter zu bearbeiten. Nach der Abgabe erhielten wir Kommentare oder Lösungen zu den Aufgaben; ein paarmal hatten wir auch online Unterricht.

der artikulator: Wie war die Vernetzung mit der Berufsschule in Bezug auf Kommunikation, Lernplattformen, Terminabsprachen?

Azubis der BS Magdeburg: Die Kommunikation verlief gut. Wir haben mit unserer Lehrerin per E-Mail kommuniziert, das hat alles geklappt.

Michelle Girndt: Auch bei uns hat das grundsätzlich ganz gut funktioniert. Nur bei einigen wenigen Schülern sind Informationen verspätet angekommen. Im Großen und Ganzen kann man sagen, dass wir uns alle gegenseitig geholfen haben, Arbeitsaufträge oder Termine weiterzuleiten.

Emelie Zabel: Zu Beginn wurden wir durch unsere Klassensprecherin in der WhatsApp-Klassengruppe informiert, dass im Lernraum Aufgaben für uns bereitstehen. Wir waren aufgefordert, zwischendurch unserer Klassenlehrerin zu berichten, wie weit wir mit der Bearbeitung der ersten Aufgaben gekommen waren.

Über den Lernraum wurde immer bekannt gegeben, bis wann wir welche Aufgaben bearbeiten sollten bzw. wann wir diese dann abgeben sollten.

Azubis des OSZ Potsdam: Die Vernetzung war sehr gut. Wir haben immer rechtzeitig E-Mails von den Lehrern bekommen, sodass man immer auf dem neuesten Stand war. Auch die Kommunikation untereinander war schnell und unkompliziert möglich.

Azubis des ZTL Linnich & Mahn: Die Kommunikation mit den Lehrern war gut. Selbstverständlich konnten Probleme nicht sofort geklärt werden, wie das im normalen Unterricht möglich ist, aber die Lehrer haben versucht, unsere Anfragen so schnell wie möglich zu beantworten. Lernplattformen hatten wir nicht zur Verfügung. Die Terminabsprache war auch gut, die Termine selbst teilweise aber zu eng gelegt.

Alexander Giercke: Ab und zu musste man mehrmals überlegen und nachschauen, wann welche Arbeiten abgeschickt werden mussten. Die Zeit für die Erledigung der Aufgaben war meist ausreichend.

der artikulator: Wie haben Sie das „digitale Lernen“ empfunden?

Azubis des ZTL Linnich & Mahn: Wir empfanden das digitale Lernen gut, aber es ist aufgefallen, dass das Gespräch in der Klasse fehlte und auch die Erklärungen des Lehrers.

Alexander Giercke: Muss nicht nochmal sein; in meinem Fall hat das digitale Lernen schon ein wenig Stress ausgelöst.

Michelle Girndt: Wir empfanden es definitiv schwieriger als Präsenz-Unterricht. Wir mussten uns jetzt mehr oder weniger komplett allein darum kümmern, dass wir unsere Aufgaben zum Abgabetermin fertigbekommen. Die größte Schwierigkeit bestand darin, Zeit zu erübrigen, um neben einer 40 Stunden- Woche die Schulaufgaben zu bearbeiten. Einige haben für die Erledigung der Theorie-Aufgaben Zeit im Labor zur Verfügung bekommen, andere aber nicht.

Und so digital ist das „digitale Lernen“ gar nicht. Man musste sich ja die Arbeitsblätter trotzdem ausdrucken, wodurch teilweise riesige Papierstapel entstanden sind, die im normalen Unterricht nicht entstanden wären.

Emelie Zabel: Vor allem am Anfang fand ich es persönlich es etwas nervig, weil ich die hinterlegten Präsentationen nicht öffnen konnte. Hierbei haben mir aber meine Klassenkameraden geholfen und dann konnte ich mir diese auch anschauen. Oft war ich aber weder am Wochenende noch in der Woche wirklich motiviert, mich hinzusetzen und die Aufgaben selbstständig zu bearbeiten. In der Schule herrscht eine ganz andere Atmosphäre (ohne Ablenkungen); man nimmt damit den Stoff besser auf. Ich habe mir zum Beispiel die Präsentationen unserer Lehrerin (einige Unterrichtsinhalte wurden als Präsentationen mit Ton erstellt) öfter angehört und versucht, mir Notizen dazu zu machen. Trotzdem hatte ich manchmal das Gefühl, nicht wirklich etwas mitbekommen zu haben; in der Schule ist das anders.

Azubis der BS Magdeburg: Problemlos. Natürlich ist uns der normale Unterricht deutlich lieber, aber den Umständen entsprechend lief es gut.

Azubis des OSZ Potsdam: Wenn es die Zeit zugelassen hätte, wäre das digitale Lernen sicherlich möglich gewesen; aber dadurch, dass wir mit praktischer Arbeit im Labor eingebunden waren, gestaltete sich das "digitale Lernen" stressig und eher als eine Last. Andererseits jedoch blieb man dadurch gut im aktuellen Unterrichtsstoff, sodass keine großen Wissenslücken entstanden. Mittlerweile macht es uns sogar auch Spaß.

der artikulator: Welche Auswirkungen brachte die ungewöhnliche Situation auf Ihre praktische Ausbildung mit sich?

Michelle Girndt: Praktisch hat sich bei mir nicht viel verändert. Ich habe ganz normal meine Arbeiten weiter gemacht und habe, genau wie vorher auch, Hilfestellungen bekommen.

Emelie Zabel: Am Anfang der Schulschließung hatte sich eigentlich erstmal nicht viel verändert; erst gegen Ostern haben wir immer weniger zahntechnische Arbeiten ins Labor bekommen. Da dadurch nicht so viel zu tun war, durften die Azubis meines Labors üben. Ich habe zum Beispiel die TIF-Aufstellung jetzt einige Wochen geübt. Oder man konnte einmal Sachen sehen bzw. machen, die man unter normalen Umständen vielleicht nicht hätte machen können (z.B. Konstruktion von Abutments am Computer).

Azubis der BS Magdeburg: Wie schon oben beschrieben, ist wenig Zeit zum Üben da; fast noch weniger als sonst. Dadurch, dass die Techniker nur verkürzt vor Ort sind, müssen alle Arbeiten schneller geschafft werden; außerdem kommen viele Repis dazu. Manchmal ist es sehr stressig, alles zu schaffen. Außerdem muss ich auch häufig bürokratische Aufgaben übernehmen oder als Fahrer dienen, weil zu wenig Mitarbeiter im Labor sind. Oder man wird für einen bestimmten Aufgabenbereich herangezogen, wie z.B. zur Schienenanfertigung. Das sind Aufgaben, die teilweise viel Zeit in Anspruch nehmen, weswegen die Zeit zum Üben/Lernen wegfallen kann.

Azubis des OSZ Potsdam: Die Situation brachte sehr viel Stress mit sich, da der normale Arbeitsablauf gestört war. Viele Azubis machten einen Rückschritt in Sachen Praxiserfahrung und wurden in der Arbeitsvorbereitung, als Bote oder zu Reparaturen herangezogen und haben dadurch nicht hinzugelernt, andere wiederum haben mehr gelernt im praktischen Teil und Verantwortung übernommen.

Azubis des ZTL Linnich & Mahn: Eine Auswirkung dieser Situation ist, dass wir Azubis zum Teil mehr Arbeiten übernehmen müssen, wodurch die Zeit fehlt, sich persönlich weiterzubilden…

Alexander Giercke: …und sich auf die Zwischenprüfung vorzubereiten.

der artikulator: Welche Herausforderungen haben Sie gemeistert, welche positiven Effekte können Sie erkennen?

Michelle Girndt: Ein positiver Effekt ist auf jeden Fall, dass man sich selbst einteilen kann, wann man was bearbeiten möchte. Man hat keinen strengen Zeitplan wie im Unterricht. Ich habe die Arbeitsaufträge bearbeitet, wenn ich Zeit und gerade nicht anderes zu tun hatte. Ebenso ist es gut, dass die Arbeitsmaterialien dauerhaft online sind; also kann man sich einfach nochmal die Präsentation angucken, wenn man etwas nicht verstanden hat.

Emelie Zabel: Also von Herausforderungen kann ich eigentlich nicht sprechen.

Azubis der BS Magdeburg: Auch wir standen vor keiner großen Herausforderung. Positiv war für uns zu sehen, dass die Theorie trotzdem so problemlos für uns über die Bühne ging. Man musste sich nur hinsetzen und machen, aber das fällt einigen leichter und anderen schwerer. Vor allem, wenn einem nicht die Zeit dazu gegeben wird.

Azubis des ZTL Linnich & Mahn: Wir bearbeiten mehr Arbeiten in weniger Zeit. Das ist eine Herausforderung, jedoch macht uns diese auch selbstbewusster.

Alexander Giercke: Ich persönlich kann keine positiven Effekte erkennen beim Fernunterricht.

Azubis des OSZ Potsdam: Für den, der in Vollzeit arbeiten muss und kleine Kinder zu Hause hat, sind positive Effekte des „Homeschoolings“ kaum zu erkennen. Andere wiederum haben gelernt, besser mit Stress umzugehen und konnten beweisen, auch unter Druck gut zu arbeiten.

der artikulator: Haben Sie Änderungsvorschläge, wie Ihre Ausbildung zukünftig unter den gegebenen Umständen effektiver ablaufen könnte, bzgl. der theoretischen und der praktischen Ausbildung? Oder sind Sie mit der Situation zufrieden?

Michelle Girndt: Ich würde es definitiv besser finden, wenn an einem Tag in der Woche (z.B. am eigentlichen Schultag) online Unterricht stattfinden würde. So hätte man die Pflicht, etwas für die Schule zu machen und man könnte besser mit Mitschülern und Lehrern interagieren, Diskussionen führen und bei Fragen direkte Hilfe bekommen.

Ich bekomme zwar Informationen zu meinem Unterricht, aber keine Informationen, wie das gesamte Schuljahr ablaufen wird. Ich habe keine wirklichen Informationen zu der bevorstehenden Gesellenprüfung oder was mich sonst noch erwartet.

Emelie Zabel:Mir fallen eigentlich keine Änderungsvorschläge ein, unsere Lehrer haben versucht, trotz der Umstände das Bestmögliche daraus zu machen und sind auch auf unsere Probleme eingegangen (einige konnte die Präsentationen - wie ich oben schon geschrieben habe - nicht öffnen, daraufhin hat unsere Lehrerin diese auch noch einmal als Videos hochgeladen).

Azubis der BS Magdeburg: Die Zeit für das praktische Üben müsste definitiv mehr berücksichtigt werden. Gerade wenn man z.B. die Ausbildung um ein Jahr verkürzt. Dies ist nur leider schwer umsetzbar, da ja keiner mehr Zeit hat, in der verkürzten Arbeitszeit noch mehr Arbeiten zu schaffen. Für dieses Problem wird es nur leider keine wirkliche Lösung geben.

Die gegenwärtige Situation stellt auch unsere Labore vor Probleme, die wir bestrebt sein sollten, gemeinsam und kompromissbereit zu lösen.

Azubis des OSZ Potsdam: Vom Ausbildungsbetrieb muss mehr Raum gegeben werden für den theoretischen Teil. Falls es nochmal zur Schließung der Schulen kommt, sollte man eine eindeutigere Rechtslage zum Onlineunterricht haben.

Zum Beispiel, dass ein Azubi 16 Stunden Zeit bekommt, um die Aufgaben lösen zu können, ohne seine freien Wochenenden opfern zu müssen. Dies würde uns Azubis viel Stress ersparen und die Lehrer könnten später schneller an das neue Wissen anknüpfen.

Die Betriebe sollten verpflichtet sein, die Azubis auch für „digitalen“ Unterricht freizustellen bzw. an Online-Vorlesungen teilnehmen zu lassen.

Die Infos zum Ablauf und aktuelle Änderungen sollten die Ausbildungsbetriebe direkt erhalten und nicht nur über die Azubis. Einige Schüler hatten keine entsprechenden Voraussetzungen zum Bearbeiten der Aufgaben (fehlende Hardware). „Konferenzunterricht“ mit den Lehrern wäre wünschenswert.

Azubis des ZTL Linnich & Mahn:In der theoretischen Ausbildung wäre es hilfreich gewesen, wenn wir die gestellten Aufgaben im Rahmen von z.B. Videokonferenzen hätten klären können.

Ein positiver Effekt beim praktischen Lernen bestand darin, dass sich die Azubis gegenseitig gut unterstützt haben, was Arbeiten und Dienste betrifft.

Alexander Giercke: Ich bin mit der Situation nicht zufrieden, am besten fände ich es, wenn alles wieder normal wäre.

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… aus der Perspektive der Ausbilder…

…zur Verfügung gestellt haben sich Juliane Koch (Dentallabor Juliane Koch, Neubrandenburg), Uwe Mahn (Linnich & Mahn Zahntechnisches Labor GmbH, Hamburg-Harburg), Nicolas Rebeschke (VAN GHEMEN Dentallabor GmbH, Berlin) sowie Nico Hoffmann (Rautenberg & Hoffmann Zahntechnik GmbH, Schwaan)

der artikulator: Wie viele Auszubildende lernen im Moment in Ihrem Betrieb?

Juliane Koch: Momentan beschäftigen wir einen Auszubildenden zum Zahntechniker bei uns im Labor.

Nicolas Rebeschke: 5

Uwe Mahn: Wir haben 6 Auszubildende bei uns im Betrieb.

Nico Hoffmann: Wir bilden aktuell einen Azubi aus. Im Februar hat ein Azubi ausgelernt und wurde übernommen.

der artikulator: Wie haben Sie die Lehrlingsausbildung in Ihrem Labor in den vergangenen Wochen gemanagt?

Uwe Mahn: Wir haben zuerst einmal mit unseren Mitarbeitern und unseren Auszubildenden zusammen über Corona, die eventuellen Auswirkungen im Allgemeinen und auf unseren Betrieb gesprochen.

Folgende Ängste traten dabei zu Tage: Was wird aus unseren Arbeitsplätzen bzw. Ausbildungsplätzen? Unser Teamgespräch schaffte die Grundlage für den weiteren Umgang mit der Corona-Pandemie und das Management für die Ausbildung. Kurzarbeit bedeutet auch weniger zur Verfügung stehende Ausbilder mit abwechselnder Betreuung; wir haben dahingehend Zeitpläne ausgehängt, wann welcher Techniker Ansprechpartner ist für die Ausbildung.

Nicolas Rebeschke: Die praktische Ausbildung im Betrieb lief wie gewohnt reibungslos. Unter Auflage der einzuhaltenden Hygienemaßnahmen konnten freiwerdende Zeitfenster in den vergangenen Wochen intensiv genutzt werden, sodass die Auszubildenden ein Stück weit von der aktuellen Situation profitieren konnten.

Nico Hoffmann: Auch bei uns hat sich für den Auszubildenden von betrieblicher Seite kaum etwas verändert. Unser Lehrling hat die Schul-Turnuszeit im Ausbildungsbetrieb verbracht. Dafür wurde ihm ein ruhiger Raum sowie ein PC mit Scanner und Drucker für die Bearbeitung seiner Aufgaben zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus stand er in engem Austausch mit seinen Kollegen, um offene Fragen erklärt zu bekommen.

Juliane Koch: Die durch die Corona-Pandemie verursachten neuen Rahmenbedingungen waren für uns eine enorme Herausforderung. Besonders durch den Wegfall der berufstheoretischen Ausbildung mussten wir neue Wege gehen. Unsere interne Lösung sah so aus, dass wir unserem Auszubildenden die Möglichkeit gegeben haben, etwa 60 Prozent der anwesenden Zeit praktisch und 40 Prozent theoretisch im Labor zu arbeiten.

Damit konnten wir anstehenden Defiziten in der theoretischen Aufbereitung/ Bearbeitung der schulischen Aufgaben entgegenwirken.

der artikulator: Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit zwischen Azubi und Ausbildungsbetrieb mit der Berufsschule unter den erschwerten Bedingungen?

Nicolas Rebeschke: Die Zusammenarbeit zwischen Betrieb und Berufsschule lief in den vergangenen Wochen aufgrund der erschwerten Bedingungen nicht ganz ohne Reibungsverluste. Dies ist mit Sicherheit der aktuellen Situation geschuldet. Alle Beteiligten waren mit der neuen Herausforderung im ersten Moment überfordert, jedoch würde ich mir hier eine direkte Kommunikation zwischen Berufsschule und Betrieb wünschen, um den Ablauf mitgestalten zu können und rechtzeitig informiert zu sein.

Juliane Koch: Die Situation war ja für alle Beteiligte eine neue. Rückwirkend kann der Austausch zwischen Auszubildenden, dem Betrieb und der Schule als verhältnismäßig gut befunden werden. Es fand ein regelmäßiger Austausch zwischen dem Lehrkörper und dem Betrieb statt, sodass es uns möglich war, anstehende Themen direkt zu kommunizieren.

Uwe Mahn: Nach anfänglichen zu erwartenden Anlaufschwierigkeiten hat unsere Berufsschule mit Herrn Beller die Zusammenarbeit zwischen Azubi und unserem Ausbildungsbetrieb super gemanagt. Respekt!

Unsere Azubis und Ausbilder sind begeistert.

der artikulator: Welche positiven Effekte sind für Sie sichtbar geworden, was können Sie evtl. für die Zukunft daraus mitnehmen?

Nico Hoffmann: Als sehr positiv habe ich die Bereitstellung und Abarbeitung der Aufgaben und Tests über die bereitgestellte Lernplattform empfunden.

Nicolas Rebeschke: Die Auszubildenden waren sehr bemüht und interessiert daran, den von der Berufsschule bereitgestellten Lehrinhalt aufzubereiten. Jedoch ist dies ausschließlich in autodidaktischer Art und Weise nicht immer umsetzbar. Es erforderte mitunter Hilfestellung der bereits „erfahreneren“ Auszubildenden. Zukünftig die Vermittlung des Lehrinhalts teilweise mittels digitaler Medien oder per „home/labschooling“ umzusetzen, ist durchaus zeitgemäß. Hier könnten die Betriebe als digitaler Arbeitsplatz fungieren und somit die notwendigen Medien bereitstellen. Explizit zur Vorbereitung und Schulung der Auszubildenden hinsichtlich der fortschreitenden Digitalisierung wäre diese Methode sehr sinnvoll.

Juliane Koch: Durch die neuen Herausforderungen wurde erkennbar, dass die Kommunikation zwischen Azubi, Ausbildungsbetrieb und Berufsschule unabdingbar ist. Ich könnte mir vorstellen, dass diese Art der Ausbildung ein fester Bestandteil in der Zukunft wäre, um direkt im bestehenden Dreiecksverhältnis auch als Ausbilder besser agieren zu können. Davon verspreche ich mir insbesondere eine optimale Ausbildung in unserem Handwerk. Um das einmal zu konkretisieren: „Es fehlte mir „vorher“ sogar diese Möglichkeit des transparenten Austausches, denn manchmal konnten Fragen zum Thema Organisation und Lernfeldaufteilung der berufstheoretischen Ausbildung nicht oder nur unvollständig beantwortet werden.

Uwe Mahn: Unsere Azubis haben einen großen Schritt in ihrer Persönlichkeitsentwicklung getan, sich selbst organisiert und sind dadurch selbstständiger geworden. Mit Teamgeist kann man ganz viel bewegen. Die Erkenntnis ist, wieviel Nähe, Miteinander und intensives Zusammengehörigkeitsgefühl unsere Mitarbeiter benötigen – das ist die Stärke eines gelebten Familienbetriebes.

der artikulator: Wie akquirieren Sie normalerweise Auszubildende? Haben Sie in den vergangenen Wochen Schüler für die Ausbildung erreichen und gewinnen können und wenn ja, wie?

Nico Hoffmann: Nein, bisher noch nicht. Unter normalen Verhältnissen bekommen wir regelmäßig Besuch aus der benachbarten Regionalschule im Zuge der Berufsvorbereitung. Dieses Jahr wurde ein Ausbildungsplatz noch nicht aktiv beworben und besetzt.

Nicolas Rebeschke: Durch den Besuch zahlreicher Schüler im Rahmen des Betriebspraktikums haben wir in den vergangenen Jahren und auch in diesem Jahr einige Bewerbungen erhalten. Leider konnten wir jedoch für dieses Jahr bisher noch keinen Schüler für uns gewinnen.

Uwe Mahn: Wir konnten auch in den vergangenen Wochen die Schüler erreichen und zwar durch vorrangegangene Schulpraktika, gute Beziehungen zu den weiterbildenden Schulen, die Präsenz mit unserer Homepage, Zusammenarbeit mit der HWK, Mund zu Mund- Propaganda, gutes Image, Qualität der Ausbildung und Erfolgsquote.

Juliane Koch: Für unseren Betrieb ist es der erste Auszubildende, denn wir sind ein vergleichsweises junges Unternehmen. Ich würde jederzeit wieder die Chance nutzen und ausbilden.

Unsere generelle Akquise von Mitarbeitenden umfasst die gängigen Kanäle. Es werden Print- und Onlineanzeigen genutzt, aber auch die Suche über das Jobcenter ist eine bewährte Möglichkeit. Für mich wäre es durchaus wünschenswert, wenn der Beruf noch stärker in die Öffentlichkeit getragen würde. Hierzu können Ausbildungsmessen oder der frühzeitige Weg in die Schulen eine Möglichkeit sein.

der artikulator: Haben Sie Vorschläge oder Ideen, das Thema der Azubi-Rekrutierung in die Innungsgemeinschaft zu tragen und entsprechend Kräfte für gemeinsame Aktionen zu bündeln? Und: Wie können wir Sie Ihrer Meinung nach dabei unterstützen?

Juliane Koch: Aufgrund eines bundesweiten Angebotsüberhanges können sich Auszubildende gerade in der heutigen Zeit zwischen einer enormen Anzahl an unterschiedlichsten Ausbildungsangeboten entscheiden. Ob die Entscheidung zugunsten unseres Handwerks fällt, hängt wesentlich von der Attraktivität sämtlicher Rahmenbedingungen ab. Hier haben wir meiner Meinung nach noch Reserven und sollten alles daran setzen, diesen tollen Beruf weiterzuentwickeln und die Erfolge auch in die Öffentlichkeit zu tragen.

Uwe Mahn: Grundsätzlich sollte in der Öffentlichkeit unser Zahntechniker-Handwerk besser und v.a. auch zeitgemäßer dargestellt werden; auch die Aufstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten müssen aufgezeigt werden.

Nico Hoffmann: Meine eigene Zielsetzung ist es, einen Imagefilm zum Thema „Ausbildung Zahntechnik“ zu erstellen und die jungen und mittlerweile sehr computeraffinen Schulabgänger für unseren Beruf zu begeistern.

Mit den Schlagworten „3D-Druck“, „CNC-Fräsen“, „CAD/CAM“ in Kombination mit unserem präzisen Handwerk, lassen sich einige neugierige Schüler auf unseren vielseitigen Beruf aufmerksam machen.

Wäre es nicht überlegenswert, so ein Projekt in der Gemeinschaft zu realisieren, wovon unser gesamter Berufsstand von profitieren könnte?!

Nicolas Rebeschke: Die Azubi-Rekrutierung ist ein entscheidendes Thema, um dauerhaft für Zahntechniker-Nachwuchs zu sorgen. Informationsveranstaltungen vor Ort in den Schulen wären hierzu hilfreich, um gezielt den extrem vielseitigen Beruf des Zahntechnikers und einen Einblick in den Alltag im Labor näher zu bringen. Die Innung könnte hier perfekt unterstützen und den Kontakt zu interessierten Schulen herstellen und vermitteln.

Um das Interesse hinsichtlich der qualitativ hochwertigen Ausbildung innerhalb der Innungsgemeinschaft zu forcieren, wäre es durchaus denkbar, eine sogenannte „task-force“ (Arbeitsgruppe interessierter Labore) zu gründen. Dadurch könnten Kräfte gebündelt werden.


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… aus der Perspektive der Lehrer…

Last but not least soll auch die Berufsschule als Partner des dualen Ausbildungssystems zum aktuellen Thema zu Wort kommen. Die Fachlehrer des OSZ „Johanna Just“ in Potsdam haben für uns ihre Meinung zu positiven und negativen Aspekten der aktuellen Ausbildungssituation zusammengefasst:

Grundsätzlich standen alle Schulen von einem Tag auf den anderen vor unvorhergesehenen Herausforderungen, um den regulären Unterricht zu ersetzen. Denn weder Schulen noch Lehrkräfte waren technisch, organisatorisch und mental auf diese Situation vorbereitet.

Das Lehrerteam des OSZ Johanna Just musste innerhalb kürzester Zeit mit erheblichem Aufwand in das spezifische „Handling“ der digitalen Lernplattform „OpenOLAT“ eingeführt werden.

Die Einweisung des Kollegiums durch ein Expertenteam beanspruchte bis zu einer Woche, was die anfängliche Verzögerung bis zum Einstellen der ersten Arbeitsaufträge mit sich brachte. Parallel dazu waren von den Lehrkräften eine Reihe weiterer Aufgaben zu erledigen, wie z.B. Unterrichtsvorbereitungen entsprechend aufzubereiten, Arbeitsaufträge zu erstellen, Kontaktdaten (E-Mailadressen) der Schüler zu vervollständigen, Ausbildungsbetriebe zu informieren, etc. Eine Herausforderung war auch, dass sich die Lehrkräfte über den Umfang der von ihnen gestellten Arbeitsaufträge an die Schüler permanent untereinander abstimmen mussten, um z. B. eine Überlastung oder Unterforderung dieser zu vermeiden. Allerdings sind die persönliche Kommunikation und die Informationsübermittlung zwischen Schülern und Lehrkräften sowie auch untereinander per Chat oder Mail direkt und unkompliziert. Auch Azubis, die im Präsenzunterricht gefehlt hätten, erleiden keine Informationsverluste. Je nach Aufgabenstellung forderten wir Lehrkräfte auch Rückmeldungen der Azubis an, um nach Bedarf Lerndefizite auszugleichen bzw. Themen im reduzierten Präsenzunterricht aufzuarbeiten. Jedem Schüler liegt die Lernform „Einzelarbeit“ nicht. Oftmals benötigt man zum Lernen den Austausch mit Anderen. Uns ist es generell sehr wichtig, den Praxisbezug herzustellen und den Azubis den Austausch über verschiedene Herangehensweisen zu ermöglichen.

Als Problem haben wir auch wahrgenommen, dass in der ersten Zeit der Pandemie den Auszubildenden zu wenig bzw. keine Zeit von ihren Ausbildungslaboren für die Bearbeitung der Aufgaben eingeräumt wurde. Das wirkte sich sehr auf die Qualität und Quantität der Arbeitsergebnisse aus. Es ist wünschenswert und auch sinnvoll, wenn es gesetzlich geregelt wird, dass den Azubis für die Bearbeitung der schulischen Aufgaben am Arbeitsplatz Zeit eingeräumt werden muss, sollte es erneute Schulschließungen geben.

Weitere Schwierigkeiten zeigten sich darin, dass die technischen Voraussetzungen, die die Azubis beim Homeschooling zur Verfügung haben, sehr verschieden sind.

Organisatorisch mussten teilweise Hürden überwunden werden. Einigen Azubis fehlte die Möglichkeit zu Hause einen PC/ Drucker zu nutzen, andere konnten nur via Handy online gehen und manche baten ihre Betriebe um Unterstützung.

So effektiv das digitale Lernen sein kann, fehlt jedoch der soziale Aspekt. Schule bedeutet nicht nur "Stoffvermittlung". Hier werden auch Kontakte und Freundschaften geknüpft, sozialer Austausch und Gruppengeist geprägt. Den Kontakt der Auszubildenden im Klassenverband zu halten und den genannten Gesichtspunkten gerecht zu werden, ist nur "online" schlecht oder gar nicht möglich. Unserer Meinung nach bildet die Nutzung von „OpenOLAT“ eine gute Ergänzung zum Präsenzunterricht.

Aber die Kombination von „Distanzlernen“ und Präsenzunterricht erfordert am OSZ eine bessere technische Ausstattung. Denn die Nutzung unserer Schullernplattform auch vor Ort, setzt natürlich kostenfreies W-Lan für alle voraus. Dies ist perspektivisch über den Digital-Pakt beantragt, aber bis zur Umsetzung vergeht sicherlich noch Zeit.

Nicht zuletzt stellte für viele Lehrkräfte das Arbeiten im Homeoffice selbst eine Herausforderung dar. KollegInnen mit Kindern hatten mit der Mehrfachbelastung durch z.B. das Fehlen von Notbetreuung und die Betreuung schulpflichtiger Kinder im Homeschooling sehr zu kämpfen. Auch Lehrkräfte der allgemeinbildenden Fächer, die bei Vollbeschäftigung 25 verschiedene Klassen betreuen, stellten sich der Problematik, allen Azubis adressatengerecht Rückmeldungen zu den gestellten Arbeitsaufträgen zu geben.

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